In industriellen Prozessen entstehen erhebliche Mengen an Abwärme, die häufig ungenutzt bleiben.
1. Einleitung: Die Bedeutung der Abwärmenutzung
Aktuelle Studien zeigen:
- In Deutschland fallen jährlich bis zu 300 TWh Abwärme an (Fraunhofer UMSICHT, 2022)
- Nur etwa 30-50% dieser Energie wird aktuell genutzt (SAENA, 2016; Fraunhofer IFAM, 2021)
- Prozesswärme macht 65% des industriellen Endenergieverbrauchs aus (SAENA, 2016)
Diese ungenutzten Potenziale bieten erhebliche Chancen für Unternehmen:
- Kostensenkung: Reduktion des Primärenergiebedarfs um 10-30%
- Klimaschutz: Vermeidung von CO₂-Emissionen
- Ressourceneffizienz: Kreislaufwirtschaft durch Energie-Rückgewinnung
Für energieintensive Betriebe ist die Abwärmenutzung besonders relevant, da hier hohe Temperaturen (>100°C) und große Energiemengen anfallen.
2. Abwärmequellen und Temperaturniveaus
2.1 Typische Abwärmequellen
Abwärme entsteht in nahezu allen thermischen Prozessen:
Temperaturbereich | Beispiele | Energieinhalt |
---|---|---|
Hochtemperatur (>400°C) | Abgase aus Öfen, Brennern, Zement- oder Stahlproduktion | Bis zu mehrere GWh pro Stunde |
Mitteltemperatur (100-400°C) | Abluft aus Trocknungsprozessen, Kühlwasser | 0,5-2 GWh pro Stunde |
Niedertemperatur (<100°C) | Abwärme aus Kühlanlagen oder Motoren | 0,1-0,5 GWh pro Stunde |
Beispiel: Eine Stahlhütze kann pro Stunde mehrere Gigawattstunden Abwärme in Form von Abgasen und Kühlwasser verlieren (Efficiency in Industry, 2023).
2.2 Bewertungskriterien für Abwärmepotenziale
Für die wirtschaftliche Nutzung sind folgende Faktoren entscheidend:
- Temperaturniveau
- Energiemenge/Leistung
- Kontinuität des Anfalls
- Volllaststunden pro Jahr
- Verschmutzungsgrad des Mediums
3. Technologien zur Abwärmenutzung
3.1 Direkte Nutzung
Wärmeübertrager
Typ | Eigenschaften | Anwendung | Beispiel |
---|---|---|---|
Plattenwärmeübertrager | Wirkungsgrad bis 90%, für flüssige Medien | Kühlwasser, Thermoöl | Frottana Textil GmbH nutzt BHKW-Abwärme (SAENA, 2016) |
Rohrbündelwärmeübertrager | Robust, für verschmutzte Medien | Chemieanlagen | BASF Cracköfen (200.000 t CO₂-Einsparung/a) |
Rotationswärmeübertrager | Effizient für Abluftsysteme | Lackierereien | BMW Werk Leipzig (15% Heizenergieeinsparung) |
Wärmespeicher
Speichertyp | Temperatur | Speicherdichte | Anwendung | Beispiel |
---|---|---|---|---|
Sensible Speicher (Wasser) | 50-90°C | 50-70 kWh/m³ | Brauchwasser | Käserei Champignon (dena, 2022) |
Latentwärmespeicher (PCM) | 0-300°C | 100-150 kWh/m³ | Prozesswärme | Audi Lackierstraßen (Fraunhofer IFF, 2021) |
Sorptive Speicher | 150-300°C | 180-200 kWh/m³ | Langzeitspeicher | Thyssenkrupp Steel (1.000°C) |
3.2 Indirekte Nutzung
Stromerzeugung
Technologie | Temperatur | Wirkungsgrad | Beispiel |
---|---|---|---|
ORC-Anlagen | ab 90°C | 8-15% | HeidelbergCement (1,2 MW) |
Dampfturbinen | ab 150°C | 15-25% | Chemieindustrie |
Gasturbinen | >600°C | 25-40% | Stahlindustrie |
Kälteerzeugung
- Absorptionskältemaschinen (ζ = 0,5-0,8)
- Mercedes-Benz Sindelfingen (1.200 MWh/a Einsparung)
- Adsorptionskältemaschinen
- Lebensmittelindustrie für Prozesskühlung
Wärmepumpen
Typ | Temperatur | Heizzahl | Beispiel |
---|---|---|---|
Kompressions-WP | +40-50K | 3-5 | Nestlé Hamburg (2,5 MW) |
Absorptions-WP | >80°C | 1,4-2,2 | Papierindustrie |
4. Wirtschaftlichkeit und Förderung
4.1 Kosten-Nutzen-Analyse
Technologie | Investkosten | Amortisation | Einsparung |
---|---|---|---|
Wärmeübertrager | 10-150 €/kW | 1-3 Jahre | 10-30% |
ORC-Anlage | 3.000-7.500 €/kW | 5-7 Jahre | 8-15% Strom |
Absorptionskälte | 200-1.250 €/kW | 4-6 Jahre | 20-40% Kälte |
Quelle: Fraunhofer UMSICHT (2022), SAENA (2016)
4.2 Förderprogramme
- BAFA
- Zuschüsse bis 55% für Abwärmeprojekte
- "Bundesförderung für Energieeffizienz in der Industrie"
- KfW
- Programm 295: Kredite mit Tilgungszuschuss
- Tilgungsfreie Anlaufjahre möglich
- Länderprogramme
- SAB-Förderung in Sachsen
- Regionale Initiativen
4.3 Rechtliche Rahmenbedingungen
- EnEfG (Energieeffizienzgesetz):
- Meldepflicht für Abwärme ab 2,5 GWh/a
- Bagatellschwellen (seit 08/2024):
- Standortschwelle: 800 MWh/a
- Anlagenschwelle: 200 MWh/a
5. Best Practices
5.1 Chemieindustrie
- BASF Ludwigshafen:
- Nutzung von Crackofen-Abwärme
- Einsparung: 200.000 t CO₂/a
5.2 Automobilindustrie
- BMW Leipzig:
- Wärmeräder in Lackiererei
- 15% Heizenergieeinsparung
- Audi:
- PCM-Speicher in Lackierstraßen
- Fraunhofer IFF (2021)
5.3 Lebensmittelindustrie
- Käserei Champignon:
- Molkereiabwärme (70°C) für Vorwärmung
- 20% Energieeinsparung (dena, 2022)
6. Zukünftige Entwicklungen
- Digitalisierung:
- KI-gestützte Abwärmemanagementsysteme
- Predictive Maintenance
- Hochtemperaturtechnologien:
- Wärmepumpen >150°C
- Neue Speichermaterialien
- Sektorenkopplung:
- Industrielle Abwärme für Wärmenetze
- Power-to-Heat Integration
7. Fazit und Handlungsempfehlungen
Die systematische Nutzung von Abwärme bietet erhebliches Potenzial:
- Kostensenkung: 10-30% Energiekosten
- CO₂-Reduktion: Bis zu 200.000 t/a möglich (BASF)
- Renditen: 10-20% ROI
Empfehlungen für Unternehmen:
- Potenzialanalyse durchführen (z.B. mit Ecocockpit)
- Technologieauswahl an Temperaturniveau anpassen
- Fördermittel frühzeitig beantragen
- Monitoring implementieren
Quellen:
- Fraunhofer UMSICHT (2022): Abwärmenutzung in der Industrie
- BMWK (2024): Förderprogramme Energieeffizienz
- SAENA (2016): Technologien der Abwärmenutzung
- dena (2022/2023): Best Practices
- VDI (2020): Kälteerzeugung aus Abwärme