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Abwärmenutzung in der Industrie: Technologien, Wirtschaftlichkeit und Best Practices

Geschrieben von OHoE Team | 17. Juli 2025

In industriellen Prozessen entstehen erhebliche Mengen an Abwärme, die häufig ungenutzt bleiben.

1. Einleitung: Die Bedeutung der Abwärmenutzung

Aktuelle Studien zeigen:

  • In Deutschland fallen jährlich bis zu 300 TWh Abwärme an (Fraunhofer UMSICHT, 2022)
  • Nur etwa 30-50% dieser Energie wird aktuell genutzt (SAENA, 2016; Fraunhofer IFAM, 2021)
  • Prozesswärme macht 65% des industriellen Endenergieverbrauchs aus (SAENA, 2016)

Diese ungenutzten Potenziale bieten erhebliche Chancen für Unternehmen:

  1. Kostensenkung: Reduktion des Primärenergiebedarfs um 10-30%
  2. Klimaschutz: Vermeidung von CO₂-Emissionen
  3. Ressourceneffizienz: Kreislaufwirtschaft durch Energie-Rückgewinnung

Für energieintensive Betriebe ist die Abwärmenutzung besonders relevant, da hier hohe Temperaturen (>100°C) und große Energiemengen anfallen.

2. Abwärmequellen und Temperaturniveaus

2.1 Typische Abwärmequellen

Abwärme entsteht in nahezu allen thermischen Prozessen:

Temperaturbereich Beispiele Energieinhalt
Hochtemperatur (>400°C) Abgase aus Öfen, Brennern, Zement- oder Stahlproduktion Bis zu mehrere GWh pro Stunde
Mitteltemperatur (100-400°C) Abluft aus Trocknungsprozessen, Kühlwasser 0,5-2 GWh pro Stunde
Niedertemperatur (<100°C) Abwärme aus Kühlanlagen oder Motoren 0,1-0,5 GWh pro Stunde

Beispiel: Eine Stahlhütze kann pro Stunde mehrere Gigawattstunden Abwärme in Form von Abgasen und Kühlwasser verlieren (Efficiency in Industry, 2023).

2.2 Bewertungskriterien für Abwärmepotenziale

Für die wirtschaftliche Nutzung sind folgende Faktoren entscheidend:

  1. Temperaturniveau
  2. Energiemenge/Leistung
  3. Kontinuität des Anfalls
  4. Volllaststunden pro Jahr
  5. Verschmutzungsgrad des Mediums

3. Technologien zur Abwärmenutzung

3.1 Direkte Nutzung

Wärmeübertrager

Typ Eigenschaften Anwendung Beispiel
Plattenwärmeübertrager Wirkungsgrad bis 90%, für flüssige Medien Kühlwasser, Thermoöl Frottana Textil GmbH nutzt BHKW-Abwärme (SAENA, 2016)
Rohrbündelwärmeübertrager Robust, für verschmutzte Medien Chemieanlagen BASF Cracköfen (200.000 t CO₂-Einsparung/a)
Rotationswärmeübertrager Effizient für Abluftsysteme Lackierereien BMW Werk Leipzig (15% Heizenergieeinsparung)

Wärmespeicher

Speichertyp Temperatur Speicherdichte Anwendung Beispiel
Sensible Speicher (Wasser) 50-90°C 50-70 kWh/m³ Brauchwasser Käserei Champignon (dena, 2022)
Latentwärmespeicher (PCM) 0-300°C 100-150 kWh/m³ Prozesswärme Audi Lackierstraßen (Fraunhofer IFF, 2021)
Sorptive Speicher 150-300°C 180-200 kWh/m³ Langzeitspeicher Thyssenkrupp Steel (1.000°C)

3.2 Indirekte Nutzung

Stromerzeugung

Technologie Temperatur Wirkungsgrad Beispiel
ORC-Anlagen ab 90°C 8-15% HeidelbergCement (1,2 MW)
Dampfturbinen ab 150°C 15-25% Chemieindustrie
Gasturbinen >600°C 25-40% Stahlindustrie

Kälteerzeugung

  • Absorptionskältemaschinen (ζ = 0,5-0,8)
    • Mercedes-Benz Sindelfingen (1.200 MWh/a Einsparung)
  • Adsorptionskältemaschinen
    • Lebensmittelindustrie für Prozesskühlung

Wärmepumpen

Typ Temperatur Heizzahl Beispiel
Kompressions-WP +40-50K 3-5 Nestlé Hamburg (2,5 MW)
Absorptions-WP >80°C 1,4-2,2 Papierindustrie

4. Wirtschaftlichkeit und Förderung

4.1 Kosten-Nutzen-Analyse

Technologie Investkosten Amortisation Einsparung
Wärmeübertrager 10-150 €/kW 1-3 Jahre 10-30%
ORC-Anlage 3.000-7.500 €/kW 5-7 Jahre 8-15% Strom
Absorptionskälte 200-1.250 €/kW 4-6 Jahre 20-40% Kälte

Quelle: Fraunhofer UMSICHT (2022), SAENA (2016)

4.2 Förderprogramme

  1. BAFA
    • Zuschüsse bis 55% für Abwärmeprojekte
    • "Bundesförderung für Energieeffizienz in der Industrie"
  2. KfW
    • Programm 295: Kredite mit Tilgungszuschuss
    • Tilgungsfreie Anlaufjahre möglich
  3. Länderprogramme
    • SAB-Förderung in Sachsen
    • Regionale Initiativen

4.3 Rechtliche Rahmenbedingungen

  • EnEfG (Energieeffizienzgesetz):
    • Meldepflicht für Abwärme ab 2,5 GWh/a
    • Bagatellschwellen (seit 08/2024):
      • Standortschwelle: 800 MWh/a
      • Anlagenschwelle: 200 MWh/a

5. Best Practices

5.1 Chemieindustrie

  • BASF Ludwigshafen:
    • Nutzung von Crackofen-Abwärme
    • Einsparung: 200.000 t CO₂/a

5.2 Automobilindustrie

  • BMW Leipzig:
    • Wärmeräder in Lackiererei
    • 15% Heizenergieeinsparung
  • Audi:
    • PCM-Speicher in Lackierstraßen
    • Fraunhofer IFF (2021)

5.3 Lebensmittelindustrie

  • Käserei Champignon:
    • Molkereiabwärme (70°C) für Vorwärmung
    • 20% Energieeinsparung (dena, 2022)

6. Zukünftige Entwicklungen

  1. Digitalisierung:
    • KI-gestützte Abwärmemanagementsysteme
    • Predictive Maintenance
  2. Hochtemperaturtechnologien:
    • Wärmepumpen >150°C
    • Neue Speichermaterialien
  3. Sektorenkopplung:
    • Industrielle Abwärme für Wärmenetze
    • Power-to-Heat Integration

7. Fazit und Handlungsempfehlungen

Die systematische Nutzung von Abwärme bietet erhebliches Potenzial:

  • Kostensenkung: 10-30% Energiekosten
  • CO₂-Reduktion: Bis zu 200.000 t/a möglich (BASF)
  • Renditen: 10-20% ROI

Empfehlungen für Unternehmen:

  1. Potenzialanalyse durchführen (z.B. mit Ecocockpit)
  2. Technologieauswahl an Temperaturniveau anpassen
  3. Fördermittel frühzeitig beantragen
  4. Monitoring implementieren

Quellen:

  • Fraunhofer UMSICHT (2022): Abwärmenutzung in der Industrie
  • BMWK (2024): Förderprogramme Energieeffizienz
  • SAENA (2016): Technologien der Abwärmenutzung
  • dena (2022/2023): Best Practices
  • VDI (2020): Kälteerzeugung aus Abwärme

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